Unsere Geschichte

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Die Anfänge – Der Evangelische Brüderverein und Carl Brockhaus

Unsere Gemeinde ist aus dem „Evangelischen Brüderverein“ hervorgegangen, den man als Vorläufer der Baptisten (im Westen Deutschlands), der Freien Gemeinden und der Brüdergemeinden ansehen muss. Dieser „Evangelische Brüderverein“ wurde am 3. Juli 1850 gegründet.

Carl Brockhaus wird am 7. April 1822 als sechstes von vierzehn Kindern des Lehrers Friedrich Wilhelm Brockhaus und seiner Frau Katharine geboren. Er wird Lehrer und ist seit 1848 in Elberfeld tätig. Dort engagiert er sich neben seiner Lehrertätigkeit in verschiedenen christlichen Werken. Denn er  sieht in der Verkündigung der Heilsbotschaft die Aufgabe der Christen, auch seine Aufgabe. Aber alle diese Aktivitäten, seine Mitarbeit in der Inneren Mission, seine Beteiligung an der Gründung der Evangelischen Gesellschaft, seine Arbeit im Elberfelder Erziehungsverein, all das sieht er zwar als Schritte in die richtige Richtung an, doch die eigentliche Gelegenheit, in der er seine Aufgabe erkennt, die kommt im Jahre 1850 durch eine Zeitungsanzeige, in der der soeben gegründete „Evangelische Brüderverein“ einen Schrift- und Geschäftsführer sucht.

Carl Brockhaus bewirbt sich, der Vorstand des Vereins erkennt gleich die Begabung dieses Bewerbers, er wird angenommen und sofort in den Vorstand aufgenommen. Als Schrift- und Geschäftsführer hatte Carl Brockhaus wohl das wichtigste Amt in diesem Verein inne. Er hatte die hauptberuflichen Mitarbeiter, die man damals „Boten“ nannte und die durchs Land zogen, Kreise von interessierten Menschen regelmäßig besuchten und dort Bibelstunden hielten, einzustellen und ihre Tätigkeit zu überwachen.

In seiner Wohnung, wahrscheinlich in der Deweerthstraße, traf sich bald wöchentlich ein Kreis Gleichgesinnter. Der Kreis wuchs, und als die Wohnung zu klein wurde, versammelte man sich in gemieteten Räumen im Evangelischen Vereinshaus in der damaligen Auestraße, wahrscheinlich der heutigen Kasinostraße.

Das Gemeindeverständnis

An dieser Stelle muss etwas zur geistlich-theologischen Ausrichtung der Bewegung, ihrem Gemeindeverständnis, gesagt werden. Stellen wir uns eine Ellipse mit zwei Brennpunkten vor. Und der eine Brennpunkt ist die Bibel, der andere Brennpunkt ist die Gemeinschaft.

Die Bibel ist der eine Brennpunkt der Gemeinde. Durch sie redet Gott. In 2. Tim. 3, 16 heißt es: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit.“

Die Gemeinschaft der Glaubenden ist der andere Brennpunkt. In dieser Gemeinschaft sind alle gleich. Jeder hat das Recht zu reden, es herrscht das sogenannte „allgemeine Priestertum“. In Mt. 23, 8 sagt Jesus: „Einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder.“

Die Gemeinde lebt. Ihre Lebensäußerungen sind Sammlung und Sendung.

Das ist wie Einatmen und Ausatmen. Sammlung in der Mahlfeier und Sendung in die Welt mit der Botschaft: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor. 3, 29).

Das ist in aller Kürze das Gemeindeverständnis von Carl Brockhaus und des Evangelischen Brüdervereins. Und als der Vorstand des Brüdervereins von der Gründung der „Evangelical Alliance“ in London erfährt, stellt er gleich einen Aufnahmeantrag, weil er dort den gleichen Geist erkennt.

Die Spaltung des Evangelischen Brüdervereins und die englische Vorgeschichte

Seit 1850 gerät Carl Brockhaus zunehmend unter den Einfluss der Gedanken von John Nelson Darby. Zwischen diesen beiden Männern entsteht eine wachsende Verbundenheit, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit an der Übersetzung der Elberfelder Bibel. Der Gedanke, der nun sowohl bei Carl Brockhaus als auch bei den Evangelisten des Brüdervereins Raum gewinnt, ist der Gedanke der Trennung vom Bösen (1. Petr. 3, 11; 1. Thess. 5, 22). Aber wenn die verfahrene kirchliche Situation einfach mit dem Bösen gleichgesetzt wird, von dem wir uns zu trennen haben, dann wird es gefährlich. Und das wurde es leider.

Am 11. Dezember 1852 kommt es zur Spaltung des Evangelischen Brüdervereins. Von den insgesamt elf vollzeitlichen Mitarbeitern treten acht aus, darunter Carl Brockhaus, drei bleiben übrig. Der Anlass war, dass einige der erweckten Gruppen das Abendmahl gefeiert hatten, was die Kirche nicht erlaubte. Für Carl Brockhaus ist die Situation alles andere als angenehm. Er steht, da er mit dem Austritt auch seine Anstellung verliert, vor dem wirtschaftlichen Nichts. Aber er fühlt sich in Übereinstimmung mit dem Wort und Willen Gottes. Und Gott lässt ihn nicht zuschanden werden. Überall in ganz Deutschland entstehen neue Gemeinden, und Carl Brockhaus reist und besucht sie. Bis zu seinem Tod 1899.

An dieser Stelle muss etwas nachgeholt werden, nämlich die Geschichte der Brüderbewegung in England. Zwar ist geht es hier um die Geschichte unserer Gemeinde, aber die ist ohne die Geschichte der Brüderbewegung in England nicht zu verstehen, denn sie ist stark von ihr beeinflusst worden.

Die Brüderbewegung in England und Irland beginnt um 1830, ihre großen Männer waren John Nelson Darby (1800 – 1882) und Georg Müller (1805 – 1898).

Im Jahre 1848 kommt es zur großen Bethesda-Spaltung, aus der die Richtung der „Geschlossenen Brüder“ unter Darby und die Richtung der „Offenen Brüder“ unter Müller hervorgehen. Beide Richtungen gibt es dann bald auch in Deutschland, weil sowohl Darby als auch Müller nach Deutschland reisen und dort Gemeinden gründen, Müller seit 1843, Darby seit 1854, sein Einfluss beginnt aber schon vorher. Dabei muss gesagt werden, dass die deutschen Brüdergemeinden zum größten Teil der geschlossenen Richtung angehörten (etwa 80 %), obwohl die Wirkung der Offenen Brüder nicht unterschätzt werden sollte. Das Wiedenester Werk (Forum Wiedenest) und das Erholungsheim in Rehe etwa sind aus der Tradition der Offenen Brüder hervorgegangen.

Die weitere Entwicklung in Deutschland seit 1852, speziell in Wuppertal

Schon zur Zeit von Carl Brockhaus (also bis 1899), mehr noch unter seinem Sohn Rudolf Brockhaus (1856 – 1932) sind die Brüdergemeinden zu einer großen, in ganz Mittel- und Westeuropa verbreiteten Bewegung geworden. Von den Gemeindegruppierungen, die aus dem Evangelischen Brüderverein hervorgegangen sind, sind sie die, die das Gemeindemodell am konsequentesten verwirklicht haben, besonders das „Allgemeine Priestertum“ und das Abendmahl. Es findet bei ihnen in der Regel jede Woche statt. Von der Evangelischen Allianz halten sie sich – jedenfalls die exklusive Richtung – fern. Überhaupt haftet ihnen etwas Elitäres an, was von anderen oft als eine Art religiöser Hochmut empfunden wird, weshalb sie im Volksmund manchmal „de Finen“ (die Feinen) genannt werden.

Die Elberfelder Gemeinde zieht, nachdem ihr das Evangelische Vereinshaus 1865 gekündigt wird, in ein eigenes Gebäude in der Baustraße 54, also in dieselbe Straße wie jetzt, aber an anderer Stelle. Dort hat sie einen Versammlungsraum, dort finden dienstags Bibelstunden und donnerstags Gebetsstunden statt. Dort entwickelt sich auch bald eine große, schnell wachsende Sonntagsschule. Die Gemeinde wird immer größer, und 1922 wird ein weiterer Versammlungsraum in der Hochstraße gemietet. Da die Gemeinde wächst und nicht mehr genug Sitzplätze zur Verfügung stehen, wird über einen Neubau nachgedacht. Im Frühjahr 1928 wird ein Bauverein gegründet, 1929 wird gebaut, und am 1. Oktober 1930 wird der Neubau, unser heutiger „Altbau“ eingeweiht.

Anfang der 1930er Jahre bieten die Brüdergemeinden also das Bild einer starken, gesunden, selbstbewussten und wachsenden Gemeindegruppierung.

Da schlägt „wie ein Blitz aus heiterem Himmel“ – wie man es damals ausdrückte – das staatliche Verbot der „Christlichen Versammlung“ am 28. April 1937 ein: Die Brüdergemeinden, jedenfalls die geschlossenen Brüdergemeinden, die ja in Deutschland die große Mehrheit bildeten, wurden als staatsfeindliche Sekte vom nationalsozialistischen Staat verboten, d. h., die Gemeindehäuser wurden versiegelt, das Vermögen eingezogen, vereinzelt wurden sogar Bibeln und Liederbücher beschlagnahmt, Veranstaltungen durften nicht mehr durchgeführt werden. Zunächst dachte man in den Gemeinden noch an einen Irrtum, doch bald wurde klar, dass das Verbot ernst gemeint war.

In dieser Situation brachten die Bemühungen von Dr. Hans Becker eine maßgebliche Hilfe. Dr. Becker war Christ, gehörte zur Versammlung Essen und verfügte über gute Beziehungen zu Leuten in Berlin, die ihrerseits eine Verbindung zur Gestapo herstellen konnten. Nach mehreren Gesprächen gelang es ihm dann, einen „Bund freikirchlicher Christen“ (BfC) zu gründen.

Am 20. August traten dann die Offenen Brüder, die zwar nicht verboten worden, aber durch das Verbot der Geschlossenen Brüder doch aufgeschreckt worden waren, dem BfC bei. Und der BfC schloss sich dann am 22. und 23. Februar 1941 in Berlin mit den Baptisten und den Elim-Gemeinden zum „Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden“ zusammen. Am 30. Oktober 1942 erfolgte die staatliche Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Nach Kriegsende 1945, als alle staatlichen Zwänge weggefallen waren, trat dann ein gutes Drittel der 1941 eingetretenen Brüdergemeinden wieder aus dem Bund aus und konstituierte sich wieder als „Christliche Versammlung“. Das ist heute die sogenannte „Alte Versammlung“, auch „Exklusive“ genannt.

1949 trat dann ein weiteres Drittel der Gemeinden aus dem Bund aus, die aber auch nicht mehr in den Exklusivismus zurückkehren wollten. Das ist die sogenannte „Freie Brüder-Gruppe“ oder die Dillenburger Richtung. Und ein knappes Drittel der Gemeinden blieb im Bund und hat dort seit 1992 eine in der Verfassung des Bundes festgelegte Autonomie mit eigener Geschäftsordnung und eigenen Gremien (§ 25).

Es nennt sich „AGB ChristusForum Deutschland“ (AGB = Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden). Zu dieser Gruppe gehören wir.

Ulrich Brockhaus, bearbeitet von Heike Schmand